Plan
I. Gegenstand, Ziele und Fragestellungen der phraseologischen Forschung.
1) Allgemeines über sprachliche Zeichen.
2) Feste Wortkomplexe als sprachliche Zeichen.
3) Zur Forschungslage in der deutschsprachigen Germanistik.
II. Semantische Kategorien der phraseologischen Wortfügungen.
1) Das Problem der phraseologischen Bedeutung.
2) Die semantische Ganzheitlichkeit und Autonomie der Konstituenten
3) Innerhalb des Phraseologismus.
Gegenstand, Ziele und Fragestellungen
der phraseologischen Forschung
Allgemeines über sprachliche Zeichen
Die menschliche Sprache kann der vielseitigen Kommunikation einer Sprachgemeinschaft gerecht werden, indem sie spezialisierte sprachliche Mittel geschaffen hat, die diesem komplizierten, viele Funktionen ausübenden System erst grosse Eigenständigkeit und einmalige Spezifik verleihen. Zu solchen sprachlichen Mitteln gehören in erster Linie die sprachlichen Zeichen, was unmittelbar mit der Zeichennatur der Sprache zusammenhängt.
Unter der Zeichennatur der natürlichen Sprache versteht man, wie das in der einschlägigen Litereatur formuliert ist, das Bezogensein der sprachlichen Elemente (der Morpheme, Wörter, Wortgruppen) und damit auch der Sprache insgesamt auf eine aussersprachliche Reihe von Erscheinungen, Gegenständen und Situationen in der objektiven Realität in einer bestimmten Form oder Stufe der Vermittlung.
Zu weiteren Zeichenfunktionen sprachlicher Einheiten gehören ihre Eigenschaft, Ergebnisse der Erkenntnistätigkeit des Menschen verallgemeinert auszudrücken und schliesslich die Fähigkeit der sprachlichen Elemente, aufgrund der in ihnen fivierten Bedeutungen eine bestimmte Information zu tragen, verschiedenen kommunikativen und expresiven Aufgaben der Verständigung gerecht zu werden. Somit sichern die sprachlichen Elemente bzw. Zeichen die vier wichtigsten Funktionen der menschlichen Sprache:
> Die Funktion der Benennung;
> Die Funktion der Verallgemeinerung;
> Die Funktion der Kommunikation;
> Die Funktion der Pragmatik.
Unter allen bilateralen, d.h. Form und Bedeutung besitzenden sprachlichen Elementen, nimmt das Wort eine zentrale Stellung ein. Es ist gegenüber den anderen Zeichen der Sprache grundlegend, denn es ist in bezug auf seine Funktionen universel und in bezug auf den Umfang dieser Funktionen unikal. Nur das Wortzeichen (und nicht das Morphem) kann zugleich sämtliche sprachliche Funktionen haben: die nominative , die signikative, die kommunikative und die pragmatische je nach dem Charakter seiner Semantik (als Appellativum, Eigenname, deiktisches Wort, kopulatives Wort usw.) hat das Wort unterschiedliche innerstrukturelle Funktionen.
Zum weiteren Funktionsbereich des Wortes gehört ausserdem seine Fähigkeit als Konstituente anderer sprachlichen Zeichen zu dienen: bei der Wortbildung, vgl. die Zusammensetzung Wandkalender und andere sprachlichen Einheiten, und bei der Bildung phraseologischer Einheiten, vgl. etw. auf Eis legen, etw. in Empfang nehmen.
Eine der wichtigsten Eigenschaften der sprachlichen Zeichen, die sie von allen anderen semiotischen Zeichen oder den Zeichen aller anderen semiotischen Systeme unterscheidet, ist die „Nichtparallelität zwischen Lautung und Bedeutung" oder Ikongruenz zwischen Ausdrucks- und Inhaltsplan des Zeichens. Diese Eigenschaft der Wörter und Fester Wortkomplexe, die als Spracheinheiten fungieren, sind unter verschiedenen Termini bekannt: Polysemie und Homonymie, Synkretismus u.a. Sehr bekannt ist auch die Bezeichnung „asymmetrischer Dualismus des sprachlichen Zeichens", die für die Nichtparallelität beider Seiten des Zeichens von S.Karcevskij eingeführt wurde. Danach korrelieren beide Seiten der Zeichen einer natürlichen Sprache nach folgender Proportion: „einsmehrere" (ein Bezeichnendes - mehrere Bezeichnete) oder „mehrere -eins" (mehere Bezeichnende - ein Bezeichnetes). Die Folgen solocher Beziehungen finden ihren Ausdruck:
a) in der Polysemie (ein Bezeichnendes - mehrere Bezeichnete), vgl.
„fester, innerercTeil eines Körpers (einer Frucht, einer Zelle, phys. eines Atoms)" der Kern
(übertr.) „wichtigster zentraler Teil (Zentrum, das Grundlegende, Wesentliche)"
b) in der Homonymie (ein Bezeichnendes (4) - mehrere Bezeichnete), vgl.
„Verwandschaftsbezeichnung" Die Mutter
„Hohlschraube mit Innengewinde"
c) in der Synonymie (ein Bezeichnetes - mehrere Bezeichnenede), vgl.
Das Haupt (geh.)
Der Kopf
Die Birne (salopp) „der das Gehirn enthaltende
Der Kürbis (salopp)Körperteil"
Das Dach (salopp)
d) in festen Wortkomplexen (ein Bezeichnetes - mehrere Bezeichnende), vgl.
die weissen Mäuse (scherzh.) - „die Verkehrspolizei" auf der faulen Haut liegen (salopp) - „faulenzen".
Der asymmetrische Dualismus ist auch den sprachlichen Elementen der anderen Ebenen eigen. Diese Eigenschaft der sprachlichen Zeichen bewirkt fast unbegrenzte Möglichkeiten der menschlichen Sprache, als ein universelles System der Bezeichnungen der objektiven Welt zu dienen.
Den Unterschied der sprachlichen Zeichen von denen der anderen semiotischen Systeme hat sehr anschaulich F.Kainz charakterisiert: „... Seezeichen, militärische Signale, Verkehrszeichen sind starre, schematische und unproduktive Systeme.
Ihre Zeichen sind nicht abwandlungsfähig und nicht kombinierbar: sie müssen als solche verwendet werden und dulden keine schöpferische Neuerung, um etwa einer Situation gerecht zu werden, die bei Vereinbarung des Signalschlüssels noch nicht vorauszusehen war. Wollte ein Bataillonsführer, um zum Ausdruck zu bringen, dass nur die Hälfte der Truppen stürmen, die andere als Reserve zurückbleiben solle, nur die Hälfte des Sturmsignales blasen lassen, so würde er damit kein Verständnis finden sollen, sondern lediglich Verwirrung stiften. Das Zeichen kann nur als Ganzes, unverändert und unabgewandelt in Wirksamkeit treten. Die Worte dagegen können als wandlungsfähiges Aufbaumaterial zu verschiedenen Verständingungen nicht festgelegter Art verwendet werden. Obwohl auch sie konventionelle Zeichen sind, deren Bedeutung in einer ersten Schicht codemässig - lexikalisch festgelegt sind, vermögen sie doch mannigfach, kombiniert, abgewandelt und differenziert zu werden."
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier nicht näher eingegangen auf andere unterschiedliche Merkmale der sprachlichen Zeichen, wodurch sie sich von den übrigen rein konventionellen Zeichen abheben. Was aber die beiden Grossen vergleichbar erscheinen lässt, ist eben die Zeichenfunktion der beiden.
Feste Wortkomplexe als sprachliche Zeichen
Durch die Asymmetrie der sprachlichen Zeichen ist der menschlichen Sprache die Möglichkeit gegeben, verschiedenartigsten Nominationen gerecht zu werden. Für eine Reihe semantischer Werte, wo es sich vornehmlich nicht um primäre, sondern sekundäre Funktionen der sprachlichen Zeichen (Konnotation) handelt, werden sekundäre Zeichen geschaffen, die diese Eigenschaft realisieren: das Formativ ist mehrgliedrig, d.h. besteht aus zwei oder mehreren Konstituenten bzw. Komponenten, die Semantik ist ganzheitlich. Klassische Beispiele der Asymmetrie der beiden Seiten der sprachlichen Zeichen dieser Art sind:
1)
weisse Maus (ugs., scherzh.) | „motorisierter Verkehrspolizist" |
Formativ | Semantik |
2)
auf der faulen Haut liegen (ugs.) | „faulenzen" |
Formativ | Semantik |
Die Semantik der sekundären Zeichen ist nicht immer ganzheitlich, sie kann auch analytisch sien:
3)
blinder Passagier | „reiseunberechtigter Passagier" |
Formativ | Semantik |
eine ägyptische Finsternis | „eine absolute Finsternis" |
Formativ | Semantik |
Was aber die Beispiele 1,2,3,4 vereint, ist die Tatsache, dass in allen Fällen das reguläre Formativ-Semantik-Verhältnis fehlt: die Bedeutung der angeführten Spracheinheiten ist aus den syntaktisch-semantischen Modellen allein sowie aus ihren Füllungen nicht herzuleiten. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die syntaktischen Gebilde, die die Formative der betreffenden Zeichen repräsentieren, zusätzlichen sprachlichen Prozessen unterzogen werden, die eine
bestimmte linguistische Technik der sekundären Nomination bilden. Das sind in den Beispielen 1,2 die semantischeUmdeutung bzw. die semantische Transformation des gesamten Konstituentenbestandes in den Wortgruppen und in den Beispielen 3,4 die semantische Transformation einer Konstituente der Wortgruppe, die aber eintritt in singulärer Verknüpfung mit der anderen nicht transformierten Konstituente.
Die konkreten technischen Verfahren der Nomination sind für alle Sprachen universal, aber jeweilige Sprachtyp bestimmt die Beforzugung bestimmter Arten der linguistischen Technik. Auf diesem Wege werden nun sekundäre sprachliche Zeichen gewonnen, die neue semantische Werte bilden und neue Funktionen in der Sprache erfüllen.
Solche Spracheinheiten nennen wir feste (stehende) Wortkomplexe (FWK). In der einschlägigen Literatur werden dafür auch zahlreiche andere Termini gebraucht:
komplexe Zeichen, Phraseologismen, phraseologischen Wortfügungen, Idiome, idiomatische Wendungen, Wortgruppenlexeme, Paralexeme u.a.m.
Was sind die Triebkräfte, die solche sekundären sprachlichen Zeichen entstehen lassen, welches sind die semantischen Charakteristika, die durch Kombinationenminimaler Zeichen geschaffen werden? Die Auseinandersetzung mit diesen Problemen bildet das zentrale Anliegen der phraseologischen Forschung.
Im Zusammenhang mit der Betrachtung der semantischen Beschaffenheit der FWK gewinnt an Aktualität das Problem der inneren Form komplexer Zeichen als grundlegendes Merkmal der Nomination. Es geht hier primär um Erschliessung allgemeiner Regelmässigkeiten bzw. Modellierbarkeit in der phraseologischen Bedeutung. Problemkreis 2 ist dementsprechend die Erforschung des Nationalen und Universalen im phraseologischen Bestand der Sprache.
Anschliessend ist auch die folgende Frage zu diskutieren: Feste Wortkomplexe stellen keine homogene Gruppe der Spracheinheiten dar.
Sie sind strukturell, semantisch und funktional sehr verschieden. Lässt sich diese Vielfalt eindeutig auf einen Nenner bringen im Sinne ihrer linguistischen Analyse in einer wissenschaftlichen Disziplin?
Problemkrers 3 wäre die Erörterung des Verhältnisses: zahlenmässige Besetzung verschiedener Textsorten mit festen Wortkomplexen und die Analyse ihrer funktionalen Leistungen. Dieser Problemkreis ist insofern wichtig, als die verhältnismässig kleine Häufigkeitsfrequenzen fester Wortkomplexe eine Tatsache ist. Demnach wäre aufgrund der linguistischen Analyse festzustellen, warum trotzdem das Aufkommen und Funktionieren dieser sekundären Zeichen zur universalen Eigenschaft der menschlichen Sprache gehört.
Zur Forschungslage in der deutschsprachigen
Germanistik
Es gab einzelne Versuche bei der Phraseologieforschung zu berücksichtigen, aber lange Zeit fehlten trotzdem grössere Arbeiten, die sich mit phraseologischer Problematik auseinandersetzen.
Phraseologieforschung in der deutschsprachigen Germanistik wurde durch folgende grundsätzliche Momente gekennzeichnet: 1. Mangelndes Profil als wissenschaftliche Disziplin.
Unzureichende Ausarbeitung theoretischer Probleme im Hinblick auf die anderen Aspekten der phraseologischen Theorie. Ein bestimmtes Interesse für Phraseologieforschung macht sich bemerkbar in den 70-er Jahren, wovon eine Reihe von Publikationen zeugt, in denen die Bedeutung der Phraseologie für die Sprachtheorie hervorgehoben wird. So heisst es z.B. im „Lexik der germanistischen Linguistik" II. Teil „Struktur der Sprache", „Das Vorhandensein von komplexen Einheiten, deren Bedeutung nicht aufgrund ihrer einzelnen Morpheme vorausgesagt werden kann" (Langacker, 1971;60), ihre Relevanz für den Sprachteilhaber und die Notwendigkeit ihrer theoretischen Erfassung sind in der Forschung allgemein anerkannt".
Von der Bedeutung der Idiome und der Relevanz ihrer linguistischen Beschreibung für künftige Theorien der Sprachverwendung spricht H.Burger und andere Linguisten, deren Arbeiten wir nachstehend nähet betrachten.
Das Buch von Harald Burger (unter Mitwirkung Harald Jaksche) ist nach dem fundamentalen Werk der älteren Germanistik von Friedrich Seiler praktisch die erste grössere Publikation, die die phraseologische Problematik der deutschen Gegenwartssprache aus der Sicht der modernen Sprachtheorie betrachtet.
Für das Buch Burgers ist eine exakte Formulierung der Grundsatzfragen des phraseologischen Bereichs kennzeichnend.
Der Zweig der Germanistik, der denjenigen sprachlichen Erscheinungen befasst, die im Sprechakt eher durch Mechanismen der „Palette des Vorgeformten in der Sprache", nennt Burger im Anschluss an Ch. Bally Phraseologie und die diesem Bereich angehörigen Spracheinheiten „Phraseologismen" oder „feste" und „stehende" Verbindungen.
Der Bereich der Phraseologie wird gegenüber Aussersprachlichem und Innersprachlichem abgegrenzt. Im innersprachlichen Bereich werden phraseologische Verbindungen gegenüber nichtphraseologischen Ketten (d.h. Verbindungen von zwei oder mehr Monomen) abgegrenzt: Alle Ketten, die aus Wörtern nur durch das Wirken von Regeln gebildet werden, sind nicht phraseologisch. Phraseologisch sind solche Wortketten, deren Zustandekommen nicht oder nicht nur aufgrund von syntaktischen und semantischen Regeln erklärbar ist. Mit anderen Worten - Wortverbindungen sind nicht phraseologisch zu klassifizieren, solange sie regulär, d.h. auf systematisierbaren semantischen und syntaktischen Merkmalen basieren. Und umgekehrt - Wortverbindunge sind phraseologisch, wenn sie nicht regulär interpretierbar sind. Es wird allerdings mit Recht betont, dass der Bereich des Phraseologischen nicht überall eindeutig abgrenzbar ist, er habe offene Grenzen zum Bereich der syntaktisch-semantischen Regularitäten.
Innerhalb des Phraseologischen werden fliessende Übergänge zwischen festen und weniger festen Verbindungen festgestellt.
Hauptgegenstand der Arbeit ist aber die zentrale Gruppe der Phraseologismen, die „idiomatisch-phraseologisch" oder kurz „idiomatisch" genannt wird. Das sind Verbindungen, deren Gesamtbedeutung nicht regulär interpretierbar ist. Die Richtung der linguistischen Analyse ist betont semantisch. Das geschieht aus folgender Erkenntnis: die meisten Idiome weisen syntaktisch reguläre Strukturen auf; die Hauptschwierigkeiten, die Idiome im Rahmen der generativtransformationellen Grammatik und der generativen Semantik bereiten, liegen darin, dass sie semantisch und deswegen auch transformationeil von den bestehenden Sprachmodellen nicht oder nicht ganz erfasst werden können.
Von besonderem Interesse ist daher die Beschreibung der funktionalen und transformationellen Defekte der Idiome (Kap.5), die durch die Semantik dieser Spracheinheiten erschlossen werden.
Darüber hinaus enthält die Arbeit wertvolle Betrachtungen zum Problem der stilistischen Leistungsfähigkeit der Idiome (Kap.6: „aspekte einer Stilistik des Idioms) und zum Problem der Übersetzbarkeit (Kap.7: „Idiome als Übersetzungsproblem"). Zu beachten wären ferner sehr förderliche Gedanken Burgers in bezug auf das wissenschaftliche Programm der Phraseologieforschung (S. 105), primär im Bereich der gesprochenen Sprache, wobei - und das soll man besonders betonen - die Gesamtforschung in der Phraseologie berücksichtigt wird.
In derselben Zeit fällt das Erscheinen einer anderen grösseren Publikation in der deutschen Phraseologie, der Arbeit von A.Rothkegel. diese Untersuchung ist insofern von Interesse, als hier versucht wird, die Methoden der strukturellen Semantik und der generativen Transformationsgrammatik auf die Analyse idiomatischer Spracheinheiten anzuwenden. Die Verfasserin setzt sich zum Ziel, eine Strukturbeschreibung dieser Einheiten zu geben, die deren Analyse mit Hilfe von Automaten ermöglichen sollte. Analysiert werden nur feste Wortkomplexe, die syntaktische Wortverbindungen bzw. Wortgruppen sind, solche Einheiten, die als phraseologische oder idiomatische Wendungen bekannt sind - „die Grenzen des Wortes überschreiten, die des Satzes unterschreiten". Zwecks der Objektivierung des Forschungsobjekts, wie Rothkegel betont, werden Ausdrücke dieser Art, die in zahlreichen Arbeiten verschieden bezeichnet werden („stehende Redewendungen „Wortgruppenlexeme", „idiomatische Wendungen" u.a.), feste Syntagmen (FS) genannt, in Opposition zu variablen Syntagmen (VS) gesetzt und in dieser Relation behandelt. Die Bedeutungskonzeption ist formuliert als geeignetes Modell zur Beschreibung der Verknüpfungsmöglichkeiten, „Gesamtheit der eruierbaren Verwendungsweisen". Dementsprechend werden die Begriffe von Kontext und Kontextarten präzisiert. Die Strukturbeschreibung der FS basiert auf der sog. syntagmatischen Determination, die zum Unterschied von der traditionellen Grammatik nicht als eine einseitige Relation des Verhältnisses Determinatum-Determinas Attributiver Verbindungen verstanden wird, sondern in einem weiteren und ganz allgemeinen Sinne: in einer Verbindung der Lexeme A und B ordnet A das Lexem B einer bestimmten Kontextklasse zu und umgekehrt. Diese Funktion ist nicht auf einzelne Wortklassen beschränkt, sondern soll allgemeine Geltung für Verbindungen von Lexemen überhaupt haben und kann auch auf verbale Fügungen angewandt werden.
Bezogen auf die Darstellung der Bedeutung als Merkmalkomplex, interpretiert Rothkegel die einzelnen Merkmale als Determinanten. Hierbei sei methodisch zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden: Die Merkmale selbst sind kontextuelle Restriktionensmerkmale: in ihrer Funktion, ein Lexem einer bestimmten Kontextklasse, die durch ein bestimmtes Merkmal charakterisiert ist, zuzuordnen, sind sie zugleich Determinanten. Jede syntagmatische Verbindung ist durch ein Determinationsverhältnis charakterisiert. Die diesbezüglichen Bedingungen stehen hierbei mit denen der Kontextbeschränkung in Verbindung. Die Kontextuellen Restriktionen, die sich auf Bedeutungskomponenten beziehen (Forderungen nach Übereinstimmung bzw. Verträglichkeit von Merkmalen), werden der semantischen Komponente des Determinationsverhältnisses zugerechnet. Dazu kommen ausserdem syntaktische und lexikalische Restriktionen. Demnach wird sie syntagmatische Determination durch drei Komponenten charakterisiert. Durch die semantische (s), die lexikalische (l) und die syntaktische (v) = syntaktische Verknüpfung. Die Restriktionen der drei bezeichneten Komponenten ermöglichen eine Unterscheidung von festen Syntagmen (FS) und veriablen Syntagmen (VS), d.i. „freien syntaktischen Verbindungen". Die beiden haben gemein, dass sie syntagmatische Verbindungen meherer Lexeme sind. FS unterscheiden sich aber durch eine spezifische kontextuelle Gebundenheit ihrer Lexeme und die damit verbundenen Merkmale des Gesamtausdrucks.
Aufgrund der Analyse auf der Basis der Kontextschränkungen und Einführung der Kriterien endozentrischer und exozentrischer Bedeutungsdetermination wird die Trennung der FS und FS2 vollführt.
Die Einzellexeme der Fl sind nicht, ohne dass die Zuordnung des Gesamtausdruck zu einer bestimmten Inhaltseinheit gestört wird. Die Klassendeterminante ist hier exozentrisch, d.h. sie bestimmt sich nach einer neuen Klasse, der der Gesamtausdruck zugeordnet ist, und nicht nach den Determinanten der Lexeme, die den Bestand der FS bilden. Die neue Klassendeterminante ist nicht in Determinanten dieser Lexeme zerlegbar.
Beispiele der FS1: kalte Ente (="Bowle"), magische Auge (="Abstimmanzeigerohre der Rundfunksgerätes bzw. Kontrollampe"), die Zelte abbrechen (="den Aufenthaltsort, den bisherigen Lebenskreis aufgeben").
FS2 lassen eine teilweise Kommunikation zu, sind endozentrisch determiniert. Traditionell gesehen sind die Fügungen mit geringerer Festigkeit als exozentrisch determinierte, da sie ein Element enthalten, das auch mit anderen Kontextpartnern in der gleiche Bedeutung wie im FS kombiniert, z.B. Schi laufen.
Funktionsverbegefüge werden bei Rothkegel auch zu FS gezehlt, weil die Bedeutung des Gesamtausdrucks nicht in einer einfacher Zusammenfügung der
(="Kontrollampe ), festen fuss fassen (="heimisch werden")
u.dgl. Bei der Abgrenzung der Vielfalt der FS2 von VS ergeben sich Inkonsequennzen. Vgl. hierzu die Bemerkung von D. Heller: „... der Gegenstandsbereich der FS2 scheint äusserst heterogen zu sein, ihre Abgrenzung von der VS ist nur der VS relativ zum Lexikom möglich wie bei Weinreich und Bar-Hilld. Schi laufen
ist nach Rothkegels Definitionen im übrigen als VS zu klassifizieren, weil sowohl Schi gegen Schlittschuh als auch laufen gegen fahren austauschbar ist, ohne das eine Zuordnung des jeweils anderen Lexems zu einer Inhaltseinheit gestört wird. Das kann als belangslos gewertet werden, aber auch als ein Indiz dafür, dass es tunlich sein könnte, VS und FS2 nicht getrennt zu beschreiben".
Semantische Kategorien der phraseologischen
Wortfügung.
Das Problem der phraseologischen Bedeutung
Der Terminus "phraseologische Bedeutung" wird in der einschlägigen Literatur für zwei verschiedene Begriffe gebraucht. Es bezeichnet
(l)die Bedeutung einer phraseologischen Wortfügung schlechthin; (2) die Bedeutung, dietypologisch unterschiedlich ist im Vergleich zu anderen Bedeutungen, z.B. der lexikalischen, syntaktischen u.a.
ob die Bedeutung phraseologischer Fügungen über eine typologische Eigenständigkeit verfügt, kann aufgrund des heutigen Forschungsstandeskaum bestimmt werden. Die semantische Spezifik phraseologischer Wortfügungen resultiert aber bereits aus der semantischen Charakteristik der phraseologischen Subklassen. Auf dieser Grundlage kann man versuchen, die wichtigsten Merkmale der phraseologischen Bedeutung, d.i. die Bedeutung phraseologischer Wortfügungen, zusammenfassend zu betrachten.
Die Gemeinsame in der phraseologischen Bedeutung der zwei wichtigsten Subklassen der phraseologischen Einheiten und der festgeprägten Sätze bildet die konnotative, genauer, wertende Komponente.
Diese ist je nach dem syntaktischen Typ der bezeichneten Phraseologismen spezialisiert und macht sie (diese Phraseologismen) zum vielseitig strukturierten Inventar konnotativer sprachlicher Zeichen. Demnach sind diese sprachlichen Zeichen nach ihrer Natur und Zweckmässigkeit im jeweiligen Sprachsystem in erster Linie wertende, charakterisierende und intensivierende zu bezeichnet.
Der onomasiologische Aspekt der phraseologischen Forschung gewährt einen Einblick in die linguistische Technik, wie die Konnotation, genauer, die konnotative Komponente der phraseologischen Bedeutung, zustande kommt. Dieser Aspekt der Analyse wird in den neueren Arbeiten mit dem Problem der Regelmässigkeiten in der semantischen Motivierheit der phraseologischen Bedeutung verbunden.Zwei zeichenbildende Faktoren sind heirbei weiterführend:
· die Art der Lexeme, die den Phraseologismen konstituiren;
· die syntaktische Basis, die die genetische Basis des Phraseologismus bilden.
Für (a) ist festgestellt worden, dass einige Klassen der Phraseologismen auf der Basis der Grundlexeme gebildet und durch diese motiviert werden. Es handelt sich hierbei um solche Lexeme wie Bezeichnungen für Körperteile, Tier- und Pflanzennamen, bei denen der Sembestend die Entwicklung der Phraseologismen sowie phraseologischer Reihen oder Serien programiert. Ein beweiskräftiges Material des regulären Charakters der semantischen Motivierheit diesen Typs ist in der germanistischen Forschung am Beispiel der Phraseologismen mit der Grundkonstituente „Kopf" ermittelt worden, deren serienhafter Charakter durch den Sembestand des Wortes determiniert ist.
So formiert sich z.B. aufgrund des Sems „oberster Körperteil" die semantische Entwicklungslinie „Raum", „Kontrastierung des Raumes", die ein Phraseosom bildet auf dessen Basis dann folgende phraseologische Reihe entsteht:
Von Kopf bis fuss; Kopf und Schwanz; bis über den Kopf in Schulden stecken; jmdm. über den Kopf wachsen.
Für (b) ist der reguläre Charakter der semantischen Motiviertheit durch die syntaktische Basis der Phraseologismen zu verstehen als Mittel zur Schaffung derinneren Form des Phraseologismus bzw. des phraseologischen Semantik offenbar ebenfalls viel Reguläres, denn auch in diesem Fall handelt es sich um bestimmte Muster in der Transformation der konkreten Vorstellungen in abstrakte Begriffe, die logisch und assoziativ determiniert in verschiedenen Sprachen ähnlich verlaufen. Das zeigen einige jüngere Untersuchungen, die das Typische und Typologische in der Bildung von Phraseologismen in Form der strukturell-semantischen Modellierung darstellt. Eine besondere Bedeutung verdient hierbei ein solcher Versuch aus der genetischen Sicht, den am Material der vergleichenden Analyse zweier slawischer Sprachen des Russischen und Tschechischen, vorgenommen wurde.Die unterschiedlich strukturierte syntaktische Basis der Phraseologismen ermöglicht innerhalb dieser Klasse fester Wortkomplexe eine semantische Differenzierung und Spezialisierung festzustellen.
So ist die Bedeutung der phraseologischen Einheiten je nachdem, ob es verbale oder nominale Einheiten sind, in folgender Beziehung nicht ganz indentisch.
Für die verbalen Phraseologismen ist in besonderem Mass eine weite Bedeutung kennzeichnend.
Bei den nominalen Phraseologismen ist eine Bedeutung dagegen nur bei den Einheiten feststellbar, bei denen die „Gegenständichkeit" der Semantik zurücktritt und die Wertung ganz besonders aktuell ist. Vgl. die nominalen phraseologischen Einheiten ein stilles Wasser, ein totgeborenes Kind, ein unbeschriebenes Blatt und dgl. So bedeutet z.B. (noch) ein unbeschriebenes Blatt je nach dem Kontext entweder „(noch") unbekannt: „Niemand kennt ihn bis jetzt, er ist hier für uns alle ein unbeschriebenes Blatt, oder „(noch) ohne Kenntnisse, Erfahrungen": der neue Mitarbeiter ist noch ein unbeschriebenes Blatt.
Interessant ist die Tatsache, dass die Phraseologisierung einiger syntaktischer Strukturen neben derallgemein wertnden oder intensivierenden Semantik gleichzeitig eine weite Bedeutung voraussetzt.
Einige Typen der komporativen Phraseologismen, die mit charakterisierender Bedeutung, sind für die weite Semantik besonders prädisponiert. Das kann man z.B. an folgenden Beispielen sehen:
Der Phraseologismus dastehen (aussehen) wie bestellt und nicht abgeholt wird in verschiedenen phraseographischen und lexikographischen Werken folgenderweise erklärt:
Er steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Ung. ="unsch!üssig"; wie bestellt und abgeholt (stehen), salopp ="wartend, nichts Vernünftiges tünd, gelangweilt", aussehen wie bestellt und nicht abgeholt ^'niedergeschlagen, enttäuscht blicken", er sieht aus wie bestellt und nicht abgeholt, ugs. = „ersieht missmutig aus".Wie man sieht, ist die Semantik des Phraseologismus zwar charakterisierend, aber nicht konkret, sondern bezeichnet die Eigenschaft sehr allgemein. Nur die Realisierung des Phraseologismus kann den allgemeinen zustand der jeweiligen Gemütsverfassung oder Haltung konkretisieren als unschlüssig, gelangweilt, niedergeschlagen, ettäuscht oder missmutig.
Aus der bildlich-motivierten Bedeutung, die auf der Basis mehrgliedriger syntaktischen Gebilde entsteht, resultiert folglich noch eine überaus wichtige semantische Eigenschaft:
Die phraseologischen Einheiten besitzen im Vergleich zu Lexem oder anderen festen, aber nicht phraseologischen Wortkomplexen zusätzliche konkretisierende semantische Merkmale. Das macht die betreffende Phraseologismen mit anderen Spracheinheiten nicht nur konnotativ, sondern auch semantisch nicht austauschbar. So bedeutet z.B. „bis in die Puppen (gehen)", nicht nur „Weit", sondern „sehr wiet" (gehen);
„jmdm den Kopf waschen", nicht nur „jmdn. zurechtweisen" , sondern „jmdn. scharf zurechtweisen";
„bei jmdm. ins Fettnäpfchen treten" heisst nicht nur „es mit jmdm. verderben", sondern „es durch Ungeschicklichkeit oder durch eine unbedachtsame Äusserung verderben".
Für die Subklasse „Festgeprägte Sätze" gillt es je nach der Art zu unterscheiden: die wertende Bedeutungskomponente bei charakterisierenden Satzredensarten und die wertend emotive bei interjektionalen und modalen Satzredensarten. Die Semantik der Sprichwörter kennzeichnet sie wiederum neben der wertendenBedeutungskomponenten auch durch den didaktischen Sinn.
Wie oben erwähnt, sind die phraseologischen Wortfügungen im Rahmen der allgemeinen semantischen Charakteristik sehr differenziert.
Die Phraseologismen der Subklasse „phraseologische Verbindungen" sind infolge ihrer besonderer Phraseologisierung auch semantisch unterschiedlich, sie bilden analytische Wortkomplexe. Was aber diese Verbindungen trotzdem zu Phraseologismen macht, ist die Tatsache, dass die Bedeutung der semantisch
transformierten Konstituente einen Begriff darstellt, der auf dem Wege der indirekten Nomination gewonnen wird. Diese Eigenschaft offenbart sich darin, dass die Bedeutung solcher Gebilde erst durch eine Umschreibung adäquat wiederzugeben ist. Vg. blinder Passagier = „ein Passagier, der sich heimlich eingeschlichen hat und mitfährt"; eine silberne Hochzeit = „25. Jahrestag der Eheschlissung"; ägyptisache Finsternis = „sehr tiefe Finsternis"-
Die semantische Ganzheitlichkeit und Autonomie der
Konstituenten innerhalb des Phraseologismus
Die semantische Ganzheitlichkeit der Phraseologismen wurde erstmalig von Ch.Bally festgestellt und später in den grundlegenden Arbeiten V.V.Vinogradovs für die zwei wichtigsten Gruppen der russischen Phraseologie entwickelt.
Diese beiden Gruppen, die in unserer Darstellung des deutschen Materials die Subklasse „phraseologische Einheiten" bilden, galten seit Vinogradov als klassische Fälle der ganzheitlichen Bedeutung. Gerade von diesen Gebilden hiesses, nach dem Typ Semantik seien es semantische Ganzheiten bzw. Einheiten, denn die Umdeutung betrifft den gesamten Komponenbestand und lässt die lexikalische Bedeutung desselben sich aufflösen in einer neuen, phraseologischen Bedeutung. Ausschlaggebend für eine solche Betrachtung der Ganzheitlichkeit war nicht nur die Tatsache, dass Phraseologismen dieses Typs immer für einen Gedanken, eine Idee gebraucht werden und dementsprechend im Satz für ein Satzglied stehen. Darüber hinaus büssen die Wörter als Konstituenten der Phraseologismen ihre morphologischen Kategorien vielfach ein. So wird in der phraseologischen Einheit den Mund halten („schweigen") die Konstituente Mund nach dem Numerus nicht abgewandelt. Vgl.: dasselbe sehen wir im Phraseologismus jmdn. an der Nase herumführen („jmdn. irreführen"); Der Verbrecher führet den Polizisten an der Nase herum (nach Friederich).
In den 70-er Jahren wurde der Grundsatz von der Ganzheitlichkeit der phraseologischen Semantik im Sinne der völligen phraseologischen Einheit am Material verschiedener Sprachen überprüft.
Der Grund dafür ist nicht zuletzt in der Erforschung des syntagmatischen Aspekts der Phraseologismen zu suchen.
Das Funktionieren der phraseologischen Wortfügungen in den Texten brachte neue Erkenntnisse hinsichtlich der Spezifik dieser sprachlichen Zeichen. Es erwies sich nämlich, dass die bekanntesten und geläufigsten Phraseologismen neben der vollständigen Realisierung ihres konstituenten Bestandes auch eine teilweise aufweisen können. Eine Konstituente, häufiger eine Gruppe von Konstitueneten kann sich semantisch verselbständigen und infolgedessen eine andere kontextuelle Umgebung haben. Man kann das an folgendem Beispiel illustrieren.
Die verbale phraseologische Einheit reien Tisch
machen mit etw. oder mit jmdm., ugs. („etw. erledigen, beseitigen, gründliche Ordnung schaffen; jmdn. zur Rechenschaft ziehen wegen etw.") wird gewöhnlich in folgenden Kontexten realisiert:
1) einen ganzen Tag lang konnte Krummhofer zukeinem Entschlusskommen, wie er mit einem Schlag reinen Tisch
machen sollte (A.Scharrer„Dorfgeschichten").
2) Ich muss mit Hans mal reinen Tisch
machen wegen desfehlenden Buchs (Binovie-Grisin).
Neben diesen Typen der Realisierung konnte ausserdem eine okkasionelle Aktualisierung im Text festgestellt werden:
„... damit reinen Tisch wird,... (B.Neuhaus, „Hexen im Leich"), wo die Konstituenten reiner Tisch
eine nominale Bedeutung aufweisen. Die verbale Bedeutung des Phraseologimus „eine schwebende unangenehme Sache bereinigen" ist im zitierten Kontezt in eine nominale „die Bedeutung einer schwebenden unangenehmen Sache" transponiert.
Oder: sich ins warme Nest setzen, ugs. („in gute Verhältnisse einheiraten") und eine okkasionelle Realisierung:
Mein Gott, warum habe ich die Puschka fahren, die lief mir nach wie ein kleiner Hund und war Ärztin und hatte einen Wartburg und eine Zweizimmerwohnung, ich Narr, mir passte ihre tiefe Stimme nicht, das wäre ein warmes Nest
gewesen! (W.Steinberg „Pferdewechsel"). Ausser der beschriebenen Autunomisierung der Kostituenten wäre noch eine typische Erscheinung zu nennen, die davon zeugt, dass die Wörter als Komponenten der Phraseologismen für Muttersprachler nicht blosse bedeutungslose Träger einer Gesamtbedeutung sind. Es handelt sich um eine bewusste morphologische Varrierung des Konstituentenbestandes als pragmatisches Phänomen.
So sind in den Texten, die prämer auf Humor orientiert sind, Abwandlungen in den substantivischen Konstituenten feststellbar, die im usuellen Gebrauch der phraseologischen Wortfügungen nicht möglich sind:
- Unser Herr Geschichtlehrer kann es nicht, denn er sagt immer, mir hängen Klötzer am Bein, und sie heissen Fernstudium und der Titel Direktor (O.Domma, „Der brave Schulter Ottokar"). Vgl. dem entsprechenden Phraseologismus „jmdm. ein Klotz am Bein sein", ugs. (für jmdn. ein Hindernis sein").
- Übrigens seien die stillen Wässerchen bekanntlich oft die tiefsten (WJoho, „Die Kastanie"). Vgl. dem entsprechenden Phraseologismus ein stilles Wasser („jmd., der seine Gefühle und Ansichten nicht zeigt").
Dass die Konstituenten eines Phraseologismus nicht als bedeutungslos empfunden werden, illustrieren zahlreiche okkasionelle Variationen des phraseologischen Konstituentenbestandes, anderen Charakters, z.B.:
- Übrigens sollte man nach forschen, ob seine Weste so rein ist, wie er behauptet (W.Steinberg „Einzug der Gladiatoren"). Vgl. den Basisphraseologismus „eine reine („oder saubere, weisse") Weste haben" („nichts Unehrendes getan haben").
Oder: Otto, der Hund liegt nicht dort begraben, wo du buddelst, sondern ganz woanders )HJobst „Der Glückssucher"). Vgl. den Phraseologismus da liegt der Hund begraben, ugs. („das ist" s, worauf es ankommt; das ist die Ursache der Schwierigkeiten, des Übels").
Im Zusammenhang mit den oben betrachteten Vorgängen entsteht die Frage, inwiefern die Theorie von der ganzheitlichen Bedeutung der phraseologischen Einheiten der sprachlichen Realität adäquat ist. Bei der Betrachtung dieses Problems ist es wichtig, folgendes zu beachten. Die Feststellung, dass phraseologische Einheiten hinsichtlich der ganzheitlichen Bedeutung bzw. der semantischen Teilbarkeit verschieden seien, ändert sich in gewissem Sinne nur die Skala ihrer Variabilität und derivativen Potenzen, aber nicht das allgemeine Bild, was den Status der phraseologischen Wortfügung angeht.
Die unbestreitbare Tatsache, dass die Wörter als Konstituenten ihre genetische Zusammengehörigkeit nicht völlig einbüssen, geht aus dem Wesen der Phraseologismen hervor. Die Ganzheitlichkeit der Semantik und ein potentielle Autonomie der Konstituenten sollen u.E. als eine dialektische Einheit verstanden werden. Die Präzisierung, die zur früheren Betrachtung der ganzheitlichen Semantik zu machen wäre, betrifft folgenden Umstand:
Die Bedeutung des Phraseologismus ist insofern einheitlich bzw. ganzheitlich, als der mehrgliedrige Komplex zur Bezeichnung eines Denotats und nicht meherer Denotate dient, wenn auch dieses Denotat komplexer Natur ist. Die Zusammengehörigkeit mit den Wörtern ist dadurch nicht aufgehoben. Im Gegenteil, diese Zusammengehörigkeit bildet das wichtigste konstitutive Merkmal der Phraseologismen als konnotativer sprachlicher Zeichnen. Daraus entwickelt sich die potentielle Variabilität des Konstituentenbestandeszwecks der expressiven bzw. pragmatischen Leistung.
Die Automisierung einer Konstituente oder einer Gruppe von Konstituenten und ihre Aktualisierung in einer neuen Umgebung, mit einer neuen Valenz und Distribution ist die Folge der sekundären semantischen Prozesse, die gewöhnlich durch die strukturelle-semantische Beschaffenheit der Phraseologismen begünstigt wird. So sind für eine solche Verselbständigung ganz besonders die Phraseologismen gegeignet, bei denen die semantische Gliederung mit der syntaktischen zusammenfält wie jmdm. grünes Licht geben = „jmdm. die Erlaubnis zu etw. geben"; jmdm. einen Bären aufbinden = „jmdm. etwas unwahres erzählen".
Das Interessanteste im Funktionieren der Phraseologismen - und das wird von allen Sprachforschern hervorgehoben - besteht eben darin, dass die mannigfaltigen variativen Realisierungen die Identität des Phraseologismens nicht zerstören. Und das gilt nicht nur für die okkasionelle, sondern auch usuelle Verselbständigung der Kompponenten, was unter dem Terminus phraseologische Derivation in den früheren Arbeiten beschrieben wurde.
Zum Unterschied von der früheren Betrachtung dieser Erscheinung wäre an dieser Stelle zu betonen, dass die Verselbständigung der Konstituenten gewöhnlich nicht zum Verschwinden des betreffenden Phraseologismus führt. Er, d.h. der Basisphraseologismus (führt) und das Derivat existieren in der Sprache parallel nebeneinander, wenn sich die beiden kategorialsemantisch unterscheiden. Das illustrieren die bekannten Beispiele der verbalen Phraseologismen und ihrernominalen Derivate:
Jmdm. einen Korb geben, ugs. („einen Mann abweisen, seine Werbung zurückweisen: etwas ablehnen") der Korb, umg.)"Ablehnung eines Antrages, Angebots"); einen Bock schiessen, salopp)"einen Fehler machen") der Bock, salopp („Fehler, peinlicher Verstoss").
Abschliessend wären zum Problem der semantischen Ganzheitlichkeit und der Autonomie der Konstituenten innerhalb des Phraseologismus folgendes zu bemerken.
Unter semantischen Ganzheitlichkeit des Phraseologismus ist die Endphase einer „zentripetalen" Entwicklung zu verstehen, wenn eine variable syntaktische Wortverbindung, -gruppe oder ein Satz phraseologisiert wird. Die semantische Ganzheitlichkeit ist primär in dem Sinne zu verstehen, dass ein Wortkomplex eine Idee, einen Gedanken, ein Urteil repräsentiert. Die Konstituenten des Phraseologismus, ob teilbar oder unteilbar, sind Träger einer Gesamtbedeutung und nur als solche relevant. Der Grad der semantischen Ganzheitlichkeit ist für diese Existenzphase des Phraseologismus nicht wesentlich.
Beim Funktionieren des Phraseologismus beginnt eine „zentrifugale" Entwicklung, die potentiell zur Autonomisierung der Konstituenten führen kann. Diese sekundären semantischen Prozesse werden durch die strukturell-semantische Beschaffenheit der Phraseologismen begünstigt.
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